Zum 30-jährigen Bestehen von Kicks & Sticks – Jazz Podium

Jazz Podium 6/2015

„Nicht nur das professionelle Spielniveau des Ensembles, sondern auch die hervorstechenden Leistungen seiner unterschiedlichen Solisten qualifizieren es zu den besten Jugendjazzorchestern der Bundesrepublik,“ sagte Posaunist und Jazzprofessor Jiggs Whigham schon 1988. Das Abschlusskonzert mit 800 Zuhörern und Standing ovations in der jüngsten Arbeitsphase in der hessischen Landesmusikakademie in Schlitz bestätigt diese Einschätzung. Jungen Jazz made in Germany auf höchstem Niveau präsentiert das Landes Jugend Jazz Orchester Hessen mit dem Namen „Kicks & Sticks“ unter der Leitung von Wolfgang Diefenbach seit nunmehr drei Jahrzehnten. Der Dirigent und Coach hat sich der nachhaltigen Förderung hochbegabter junger Jazzmusiker aus Hessen verschrieben und bietet diesen die Möglichkeit einer professionellen Big Band-Ausbildung. Die Talentschmiede des hessischen Kulturpreisträgers haben schon mehr als 1.800 Musiker im Alter von 18 bis 25 Jahren durchlaufen und ihr Können bei Auftritten mit internationalen Stars rund um den ganzen Globus bewiesen.

Über den eigenen hohen Standard des Musizierens hinauszuwachsen, ist schwierig. lmmerhin hat das Landes Jugend Jazz Orchester bereits mit seiner ersten CD „Kicks & Sticks“ im Jahr 1990 den Preis der Deutschen Schallplattenkritik gewonnen. Die Einspielung avancierte zu einer der bestverkauften Jazz-CDs Deutschlands.

Jazz Podium-Mitarbeiter Klaus Mümpfer sprach mit Wolfgang Diefenbach über die seit 30 Jahren währende Erfolgsgeschichte der „Kicks & Sticks“ sowie über deren Ableger-Ensembles, die Diefenbach bis heute neu gründete und betreut.

Wann erschien die letzte CD?

Das war 2013. In jenem Jahr kamen „Didn’t We“ und „Christmas Celebration“ auf den Markt. Mit „Didn’t We“ haben die talentierten Jazzer ihre neunte Scheibe im Rahmen der CD-Veröffentlichungen auf den Markt gebracht. Dieses Mal mit stimmgewaltiger Verstärkung durch das Jazz Vocal-Ensemble „Kicks & Sticks-Voices“. Darmon Meader, seines Zeichens Kopf der Grammy-prämierten New York Voices, war nach dem gemeinsamen Auftritt beim Rheingau Musik Festival so beeindruckt, dass er der Band exklusive Arrangements seiner Formation für diese Studio Produktion und öffentliche Auftritte zur Verfügung stellte.

Beeindruckend auf allen CDs ist die stilistische Bandbreite des Landes Jugend Jazz Orchesters Hessen. Nicht nur altehrwürdige Standards wurden neu arrangiert und präsentiert sondern auch moderne, und vor allem von den gängigen Big Band-Nummern abweichende Arrangements zählen zum Repertoire des jungen Orchesters. „Kicks & Sticks“ nähert sich den zeitgenössischen Popsongs ebenso wie den neutönerischen Jazzkompositionen. Gespielt wird in der traditionellen Big-Band-Besetzung. Besonders beeindruckend ist der perfekte dichte Zusammenklang von Brass- und Reed-Sections sowie die Transparenz in der Satzarbeit.
Welches sind die Aufnahmebedingungen für das Jugendorchester des Landes?

Bei der Juniorband sind das die lnstrumentenbeherrschung, Jazzphrasierung sowie Anfangskenntnisse in der lmprovisation.

Wo rekrutierst du die Musiker für das Orchester? In Schulen und Musikschulen?

Der größte Teil der Bewerber kommt zum Landes Jugend Jazz Orchester weil man das Orchester kennt und dort gerne mitspielen möchte. Weiterhin gibt es eine enge Kooperation mit dem Landeswettbewerb „Jugend jazzt“, welcher auch von mir gegründet wurde und dieses Jahr das Jubiläum zum 25-jährigen Bestehen feiern kann. Die dritte Säule besteht in den Partnerschaften mit Schulen mit dem Schwerpunkt Musik. Das LJJO coacht mit der gesamten Mannschaft ein Wochenende lang eine Schulbigband und lädt herausragende Talente als Gäste zu einer Arbeitsphase ein.

Sind damit mögliche Nachwuchssorgen ausgeräumt?

Nachwuchssorgen gab es nie, höchstens mal einen Engpass bei der ersten Trompete in den früheren Jahren. Allerdings haben wir seit der Gründung der Juniorband vor sechs Jahren das Eintrittsalter von Kindern und Teenagern in den Jazz dramatisch gesenkt und die Zahl der Spieler vervierfacht.

Das bringt uns zu der Frage nach den Neugründungen von Ablegern. Die „Kicks & Sticks“ wurden vor 30 Jahren gegründet. Was kam wann dazu?

Mit der Gründung der Junior Band vor fünf Jahren habe ich einen weiteren Grundstein zur exzellenten Förderung und Ausbildung des hessischen Jazznachwuchses gelegt. Damit wird schon den Jazz-Youngsters von 10 bis 18 Jahren der Weg zur professionalen Jazz- und Big-Band-Szene geebnet.

Neben der instrumentalen Ausbildung sollte deiner Ansicht nach die stimmliche nicht zu kurz kommen. Wann wurden die „Kicks & Stick Voices“ gegründet und welche lntention steckt hinter dieser Ergänzung des LJJO?

Gegründet wurden die Voices vor sieben Jahren. Junge Sänger mit großen solistischen Talenten werden in dieser Formation angehalten, ihre Hausaufgaben zu machen, denn zum Jazzgesang zählen gute Gehörbildung, perfekte Phrasierung, tiefe Kenntnisse der Jazzharmonik sowie klare Vorstellungen über den Sound. Die Sänger bekommen weiterhin auch die Möglichkeit, solistisch an hochwertigen Arrangements in ihrer Tonart mit der Big Band zu arbeiten und aufzutreten. Damit stehen dem Gesamtensemble alle stilistischen und programmatischen Möglichkeiten offen. Neben den „Kicks & Sticks Voices“ gibt es die „Junior Voices“, so dass ich auch hier aus einem Pool erstklassiger Talente schöpfen kann.

Wie ist die Zusammensetzung des Orchesters und sein Durchschnittsalter?

Der Anteil der weiblichen Mitglieder der vier Ensembles schwankt zwischen 25 und 35 Prozent. Die Mitglieder sind durchschnittlich 18 bis 19 Jahre alt.

Das Jugend Jazz Orchester Hessen zählt zu den Besten in Europa und hat sich als wichtiger Kulturträger Deutschlands und als bedeutsames musikalisches Aushängeschild Hessens bewährt. Dies ist zwar vor allem ein Verdienst von Wolfgang Diefenbach, aber auch der zahlreichen Dozenten, mit denen der musikalische Nachwuchs in den drei Jahrzehnten zusammengearbeitet hat. Mehr als hundert Arrangeure, Sänger, Instrumentalisten und Bandleader stehen auf der Liste, die auf dem Schreibtisch des Orchester-Chefs liegt. Zu den Arrangeuren zählen neben anderen Bill Holman, Clare Fischer, Bob Mintzer, Peter Herbolzheimer, Kenny Napper und Frank Runhof. Die Reihe der 15 Vokalisten schmückten The New York Voices, Sylvia Vrethammar, Bill Ramsey und Madeline Bell. 16 Saxophonisten wie Wilson de Oliveira, Charlie Mariano, John Ruocco, Gunter Hampel und Herb Geller sind neben Trompetern wie Nat Adderley, Randy Brecker, Dusko Goykovich und Ack van Rooyen zu entdecken. Da stehen Posaunisten wie Albert Mangelsdorff, Jiggs Whigham, Joe Gallardo oder Bobby Burgess neben Gitarristen wie Russ Spiegel oder Beledo und Bassisten wie John Clayton oder Steve Kirby, sieben Pianisten wie Walter Norris, Bob Degen und dem Organisten Joey deFrancesco, den Schlagzeugern und Perkussionisten José Cortijo, Janusz Stefanski und Freddie Santiago sowie 13 Bandleader von Maria Schneider über Mike Mossman, Dieter Glawischnig, Kenny Napper und Bob Mintzer. Einen Teil der Dozenten hatte Diefenbach für die zweimal jährlich anberaumten intensiven Arbeitsphasen verpflichtet. Bei solch prominenter Unterstützung haben sicher auch eine Reihe Musiker Karriere in der Szene gemacht?

Um nur eine Auswahl zu nennen, möchte ich Heinz Dieter Sauerborn, Oliver Leicht und Rainer Heute erwähnen, die bei der hr-Bigband spielen. Ferner Georg Maus bei der SWR Big Band, Stefan Lottermann bei der NDR Bigband, Werner Neumann, der als Professor in Leipzig lehrt, der Arrangeur und Bandleader Frank Runhof, Florian Sperzel und Uli Plettendorf im Glenn Miller Orchestra, der Vibraphonist Christopher Dell, der Trompeter Till Brönner und Chris Walden — unser Präsident und Big-Band-Leader in Hollywood.

Kannst du einige Höhepunkte aus den zurückliegenden 30 Jahren nennen?

Erfolge feierte das Landes Jugend Jazz Orchester Hessen bei weltweiten Konzertauftritten und der Teilnahme bei bedeutenden internationalen Festivals sowie Produktionen beim Radio und im Fernsehen. Diese Gigs mit internationalen Solisten gehören zu den Meilensteinen der Bandgeschichte. Tourneen führten das Ensemble bereits nach Südostasien, Südamerika, Polen, Kanada, Russland, Japan, Ostafrika, Ungarn, Litauen, Australien, Rumänien, Vietnam, Südkorea, China, Zypern, Griechenland und Südafrika.

Bei so vielen Tourneen gab es sicher auch Erlebnisse, die sich im Gedächtnis einprägen?

Als einzige ausländische Band trat „Kicks & Sticks“ beim Sydney Domain Park Festival vor 80.000 Zuschauern in Australien auf. Von Jazz-Legende Nat Adderley gab es dann den Ritterschlag beim Montsalvat Jazz Festival in Melbourne. Er war so begeistert von der Band, dass er vor laufenden Kameras auf die Bühne kam und spontan mitspielte. „Yes, really a great band“, ließ er sich zum Lob hinreißen.

Wie sieht das Programm für das Jubiläumsjahr zum 30-jährigen Bestehen der „Kicks & Sticks“ aus?

Höhepunkt ist ein Auftritt mit einem Weltstar des Jazz. Für den Sonntag, 2. August 2015, 11 Uhr, im Wiesbadener Kurpark lautet das Motto „Kicks & Sticks featuring Dianne Reeves“. Begleitet von den hessischen Nachwuchstalenten wird die fünffache Grammy-Award-Gewinnerin ihr neues Album „Beautiful Life“ präsentieren. Flexibel und einfühlsam bildet „Kicks & Sticks“ eine ungemein weiche Soundfläche für eine unvergleichliche Künstlerin. Für das Jubiläumskonzert konzipiere ich ein Programm, das sowohl der Gastsolistin als auch dem Big-Band-Sound und den Kicks & Sticks Voices eine gebührende Bühne bereitet. Das Konzert findet als Freiluftveranstaltung bei jedem Wetter statt.

Und was ist sonst geplant?

Ein weiterer Höhepunkt dieses Jahres soll eine USA Tour mit Auftritten in New Yorker Clubs, insbesondere dem „Birdland“ mit Mike Mossman als Solisten, Kooperationen mit der Manhattan School of Music sowie Auftritte in Clubs in Kalifornien werden.

Text: Klaus Mümpfer